Wenn die Leistung im Team mal nicht ganz rund ist, vergessen wir oft diesen wichtigen Hebel!
Seid Ihr eine eingeschworene Truppe, die sich hilft, nicht nur in Krisen, sondern in der individuellen Entwicklung? Die alle darauf achten, ob jemand absäuft? Wo Unterstützungsbedarf gleich angemeldet und bedient wird? Wo Ressourcen ausgetauscht werden, auch wenn es mal auf Kosten der Ergebnisse des eigenen Bereichs geht? Vertraut Ihr Euch grundlegend? Werden alle Rollen respektiert?
Oder hast Du Schwierigkeiten, Unterstützung für den „absaufenden“ Bereich zu besorgen und machst es am Ende persönlich oder per Dekret? Bearbeiten Leute Ihre Mails im Meeting, während eine dringende Herausforderung des Kollegen besprochen wird? Werden Informationen erst geliefert, wenn es sein muss? Werden Schnittstellen-Themen immer erst mit Dir besprochen statt dort geklärt, wo sie unklar sind? Sprecht Ihr vielleicht sogar mehr übereinander statt miteinander? Gibt es „den harten Kern“ und die „Support Functions“ oder ähnliche Bezeichnungen für eine kleine Gruppe, die sich als das „eigentliche“ Team sieht und die anderen eher als Zuarbeiter oder Verwalter?
Wenn nur eine oder zwei dieser sechs Aspekte (und sie sind nur Beispiele) gelten, hast Du ungenutzte Potenziale im Team. Und als Führungskraft hast Du mehr Hebel als Du denkst (ich kenne Deine spezifische Situation nicht, aber in den meisten Fällen trifft das zu). Vielleicht ist es bisher noch gar nicht so offensichtlich für Dich: der größte Hebel für all diese Themen könnte die Kenntnis und Nutzung der individuellen Stärken im Team sein.
In diesem Artikel geht es um diesen Hebel, die individuellen Stärken und Unterschiede im Team zu nutzen und dann Hochleistung zu fordern.
Denn wenn die Unterschiede im Team als Stärken gesehen werden können, können starre Muster unterbrochen werden. Das kannst Du nutzen, um Schnittstellen-übergreifende Kooperation zu fordern, was eine der wichtigsten Grundlagen für ein Hochleistungsteam ist.
Leider hatte ich als junge FK kein solches Modell für meine Teamentwicklung. Ich habe mir meine Leute nach Sympathie und Persönlichkeit ausgesucht, auch nach auf Beobachtung basierender Kompetenz-Einschätzung, aber ich hatte nie eine „Vorlage“, wie ich eine Person mit dem Job matchen konnte. „Diversity“ hieß für mich eine Ausgewogenheit in den Positionen zwischen Männern und Frauen, Altersgruppen und Nationalitäten (die größte Zeit meiner Führungslaufbahn verbrachte ich in einer sehr internationalen Organisation). Dass ich darauf achten sollte, welche unterschiedlichen persönlichen Stärken und Talente in meinem Team sind und auch wie die Individuen zusammenarbeiten, das wurde mir erst viel später klar.
Dazu kam noch, dass das „Kernteam“ im Vorstand aus fünf ähnlich denkenden Männern bestand, die wie engste Freunde waren und über die Andersartigkeit einiger Frauen im Team viel lästerten. Vielleicht kein Wunder, dass irgendwann ein größerer Konflikt zwischen Frauen und dem CEO und seinem Stellvertreter mit der Konsequenz entstand, dass einige wertvolle Spielerinnen gingen.
Erst als ich als frischer Leadership-Coach eine Fortbildung machte, wurde mir das Thema „echte Diversity“ als Framework bewusst. Ich erfuhr damals von der größten Studie aller Zeiten zum Thema Mitarbeiter-Engagement (des Gallup Instituts). Es ging in der Studie also gar nicht primär um Diversity (und auch heute höre ich die Begriffe „Stärke“ und „Diversity“ selten in einem Kontext). Das Buch (von Marcus Buckingham) erschien damals unter dem Titel „erfolgreiche Führung gegen alle Regeln“. Einer diese Regelbrüche war: behandle Andere nicht so, wie Du behandelt werden willst, sondern entsprechend ihrer Stärken. Die sind nämlich anders als Deine.
Umso überraschter bin ich, dass noch heute die wenigsten Unternehmen und Führungskräfte ein Framework dafür haben, systematisch die individuellen Stärken der Mitarbeitenden mit der Rolle zu matchen, Teams aus sich ergänzenden Stärken zusammenzustellen und Unterschiede explizit als Stärken darzustellen, um sich gegenseitig zu unterstützen und ergänzen.
Ein Beispiel: Bei einem globalen Marktführer bestehend aus vier unterschiedlichen Produkt-Divisionen sollte aus dem Headquarter heraus eine Harmonisierung der KPI (Leistungs-Kennzahlen) zum Zweck der optimierten Unternehmenssteuerung auf Gruppenniveau geschehen. Dazu wurde ein Projektteam geschaffen, das in die Divisionen wirken sollte. Eine große Herausforderung in solchen Kontexten ist immer, dass Menschen mehrere Hierarchie-Ebenen nach oben wirken müssen. Es wurde zwar auf CFO- Ebene gruppenweit darüber gesprochen, aber die Umsetzung machte das Projektteam mit der Ebene unter den Divisions-CFOs unter deren Einfluss.
Also: Der Auftrag an das Projektteam kam zwar direkt vom Gruppen-CFO und dem Gruppen-Vorstand, aber der war natürlich bei der Umsetzung nicht dabei!
Nun waren die Divisionen unterschiedlich eingestellt. Die eine (grö0te) Division wollte davon nichts hören, weil sie lieber die eigenen KPIs im Konzern ausrollen wollten. Die andere Division war offen für Hilfe, wollte aber die Ressourcen des Projektteams übernehmen. Die nächste Division war offen, wollte aber nicht selbst unterstützen (wir haben dafür keine Leute).
D.h. jede Haltung der Divisionen brauchte eine andere Einfluss-Strategie. Und dafür brauchte es unterschiedliche Stärken. Im Projektteam waren aber die Divisionen schon auf die Teamleader aufgeteilt. Das war vorab unter anderen Gesichtspunkten passiert (wer hat Erfahrung mit welcher Division, wer war vorher auf welcher Hierarchieebene unterwegs usw.).
Wir gingen dort so vor: im ersten Schritt machte jeder im Projektteam eine „Strengthsfinder“ – Analyse. In einem Workshop wurden die Analysen vorgestellt und eine Stärken-Matrix erstellt: Wer hat welche Stärke wie stark ausgeprägt? Welche Stärken brauchen wir für welche Haltung in welcher Division? Welche Stärken haben wir im Team im Überfluss und welche fehlen uns ganz? Wie können wir uns die fehlenden Stärken noch ins Team holen?
Letztlich wurde entschieden, dass die Einfluss-Strategie stärkenorientiert ablaufen soll. Entweder bekam jemand für seine Division Unterstützung, der diese Stärken hatte, oder es wurden die Ansprechpartner getauscht.
Das Team war damit sehr erfolgreich und konnte die Relevanz der KPIs drastisch erhöhen und ihre Anzahl in der Gruppe auf ein Drittel reduzieren.
Der Strengthsfinder (gallupstrengths.com) ist ein nützliches Tool, um individuelle Stärken erkennbar zu machen. Er stützt sich auf einen fundierten Schatz empirischer Forschung. Andere Möglichkeiten zur Erkundung von Stärken:
- Gespräche, in denen Du Deine Mitarbeitenden zu ihren Motivationen, Erfolgen, Arbeitsweisen und Lernpräferenzen befragst. Wenn die Beziehung dafür passt, kannst Du auch nach privaten Hobbies und Engagements fragen. Dort werden oft Kompetenzen sichtbar, die bei der Arbeit nicht zur Geltung kommen.
- Stärkenorientiertes Feedback im Team: Jede Person erhält von den Kollegen Feedback, was sie an ihr schätzen und welche Kompetenzen sie in ihr sehen.
- Beobachtung: wie arbeitet jemand und wie ist er damit erfolgreich?
- Experimentieren: Mitarbeiter erhalten neue Aufgaben und es wird beobachtet, wie sie damit zurechtkommen
- Fokus auf Schwächen: was könnte eine Stärke hinter einer bestimmten Schwäche sein und wie könnten wir sie im Team nutzen? Beispiele:
- Jemand „kommt nicht in die Gänge“: die Person hört ggf. einmal mehr zu oder sorgt sich um die Auswirkung seiner Handlungen. Stärke: Empathie. Nutzbar, wenn es um Stärkung von Beziehungen oder Fürsorge geht.
- Prokrastination: Oft entsteht sie, weil Menschen neugierig, lernwillig, verantwortungsbewusst oder einfach sehr interessiert an vielem sind (s. auch „nicht nein sagen können“). Dann ist es vielleicht nicht Prokrastination, sondern die Menschen nehmen sich einfach zu viel auf die Liste. Hier gilt es vor Allem, zu schauen, wie das Team die Person vor sich selbst schützen kann, denn letztlich leidet die Performance ja.
- Jemand „äußert immer nur Bedenken“ oder „sagt, warum es nicht geht“: Bewusstheit von und Hinweise auf Risiken sind auch eine Stärke. Oft haben solche Leute hohes Qualitäts- und Verantwortungsbewusstsein. Fehlt es, werden vielleicht törichte Entscheidungen getroffen. Hier könnte vereinbart werden, dass die Bedenken konstruktiv geäußert werden: z. B. anstatt „das geht nicht weil…“ „das würde gehen, wenn…“
- Jemand „hängt die Anderen ab“: Die Person ist wahrscheinlich sehr handlungsorientiert, hat Tatendrang und ggf. Leistungsorientierung. Sie könnte ggf. eingesetzt werden, wo schnell mutige Handlung von einzelnen benötigt wird. Empfehlung: eine Vereinbarung machen, wie die Person sich bewusst sein kann, wann sie andere einbeziehen muss.
- „Kein Teamplayer“: hier sollte gefragt werden: woran erkennt man einen „Teamplayer“? „Kein Teamplayer“ heißt manchmal: die Person traut sich, Dinge anders zu machen, anders zu denken, richtet ihre Handlung nicht danach aus, gemocht zu werden. Die Person kann ggf gut mit Konflikten umgehen.
- „Kann nicht nein sagen“: Hier haben wir wahrscheinlich jemanden, der hilfsbereit ist und die Bedürfnisse Anderer wichtig nimmt. Vielleicht auch ein starkes Verantwortungsgefühl und einen hohen Anspruch an sich selbst. Hier braucht jemand ggf Hilfe, zu sich selbst öfter „Ja“ zu sagen und nicht immer nur zu anderen.
Ich hoffe, diese Überlegungen und Beispiele geben Dir ein gutes Gefühl dafür, wie essentiell Kenntnis, Verständnis und Akzeptanz der individuellen Stärken für ein diverses, starkes Team sind. Und wie eng die Themen Stärken und Diversity verknüpft sind.
Abschließen möchte ich mit drei Tipps:
- Vereinbare mit Deinem Team eine Methode, wie alle ihre eigenen Stärken besser kennenlernen können.
- Organisiere einen kleinen Workshop mit Deinem Team, wo alle sich gegenseitig ihre Stärken vorstellen. Bitte keine langweilige Präsentation! Du kannst Dir etwas einfallen lassen: etwa die Matrix wird vorab vorbereitet und alle schauen gemeinsam drauf; die Leute bereiten sich zu zweit vor und stellen gegenseitig ihre Stärken vor; oder Du gibst 2-3 Leitfragen vor, incl. „Wie könnte es manchmal sein, dass meine Hauptstärke Euch nervt“?
- Analysiere allein oder mit Deinem Team, wie die Stärken im Team noch besser genutzt werden können: durch Anpassung der Rollenbeschreibung, durch mehr Unterstützung, durch Arbeiten in Partnerschaften usw.