Können wir die aktuellen Krisen nutzen, um erfolgreicher zu werden? Wie geht das?

Krisen rütteln uns durch. In einer Zeit, in der es gefühlt von einer Krise in die nächste geht, brauchen wir „Resilienz“ = die Fähigkeit, an einer Krise zu wachsen und gestärkt aus ihr hervorzugehen. Von Natur aus macht unser Organismus in Krisen aber etwas ganz Anderes. Denn Krisen erzeugen Unsicherheit, und die bringt uns Menschen dazu, uns zurückzuziehen, nervös zu werden oder sogar in Starre zu verfallen.

Meine Frau macht mir selektiv Komplimente. Eins davon ist, dass ich in Krisen die Fähigkeit bewahre, nach vorne zu schauen und nach Chancen zu suchen. Zu Beginn der Pandemie war mein Geschäft – damals noch fast 100% auf Präsenzveranstaltungen ausgelegt – von heute auf morgen tot. Alles wurde abgesagt. Niemand wusste, wie lange das dauern würde. Damals habe ich mich sofort entschieden, die vielen Spaziergänge zu genießen und die freie Zeit dafür zu nutzen, Neues zu lernen und zu recherchieren. Aber davon wird ein Geschäft nicht erfolgreicher – oder doch?

Kurze Zeit später war ich semiprofessionell für Live Online-Arbeit ausgestattet, und diese brauchten wir im Coaching-Geschäft noch eine Weile – dringend.

War ich ein Zombie, der nicht verunsichert war? Ganz und gar nicht. Mein Kopf hat ein Doomsday-Szenario nach dem anderen gesponnen und wollte mir verklickern, dass die Pleite nur eine Frage der Zeit ist. Von der Unterschrift beim Notar zum Kauf eines neuen Hauses eine Woche vor Beginn des Lockdowns mal ganz abgesehen…Allerdings hatte ich in meinem Leben schon einige Krisen bewältigt und war mir daher auch einer anderen Perspektive bewusst, die ich hier mit Dir mit ganz konkreten, praktischen Tipps teilen möchte, damit Du auch für Dich leicht umsetzbare Anregungen für Deinen Umgang mit Krisen mitnehmen kannst. Und, bevor es losgeht: bitte nicht falsch verstehen: ich bin nicht als Krisenheld geboren. Ich habe in meinem Leben in Krisen rumgeschrien, mir Magenkrämpfe und einen Reflux eingebrockt und noch so Einiges mehr. Aber dazu ein Ander Mal mehr – nur, dass Ihr es wisst: es war ein langer Entwicklungsweg…

1.Erlaube Dir bei Eintritt einer Krise im ersten Schritt Deine Emotionen und verlange keine übermenschliche Reaktion von Dir selbst. Denn wenn Du etwa als Führungskraft versuchst, in einer Krise sofort „Stärke“ zu zeigen, dann kann das kontraproduktiv sein: Du brauchst extrem viel Energie, um Stärke zu zeigen, wo keine ist. Dadurch raubst Du Dir wertvolle Ressourcen, die Du benötigst, um in der Krise kreativ zu sein. Du brauchst kein Vortäuschen von Stärke, sondern einen wohlwollend-mitfühlenden Umgang mit dem, was zu Beginn einer Krise passiert. (Im Übrigen lohnt sich auch eine kleine Reflexion zur Frage, was Führungsstärke wirklich ist – heute „folgen“ Mitarbeitende lieber einem „echten“, „menschlichen“ Menschen als einem unantastbaren, immer „starken“, immer arbeitenden, alles wissenden „Helden“).Du kannst Dir sicher nicht unbedingt erlauben, lange tägliche Spaziergänge zu machen, wie ich es zu Beginn des Lockdowns tat. Du kannst aber mal überlegen, wie Du Dir anstatt einer Reflex-Reaktion den Kopf freimachen kannst, um wirklich kreativ und gelassen vorzugehen. Vielleicht gehört dazu die Möglichkeit, zu Beginn mehr gute Fragen zu stellen als Antworten zu liefern. Oder auch mal Deine eigenen Gefühle authentisch preiszugeben. Nicht mit Schnappatmung und Doomsday-Szenarien auf der Bühne; aber vielleicht mit einem Statement wie: „Mich hat es hier auch kalt erwischt, genauso wie Euch. Ich stehe dafür, dass wir das gemeinsam hinkriegen, und mit einer Mannschaft wie Euch bin ich mir da absolut sicher; aber wie, das weiß jetzt noch keiner. Und da brauche ich Euch, dass Ihr Euch traut, mitzudenken, zu experimentieren. Ich gebe Euch dabei jede Unterstützung.“

2.Wie gesagt, Schnellschüsse sind selten die beste Lösung in Krisen. Unnötige einmalige Ausgaben, die reiner Luxus sind, habe ich zu Beginn der Pandemie gestrichen. Aber ich entschied damals auch, auf Panikverkäufe oder Einschränkungen des Lebensstils zu verzichten. Meine Erfahrung ist, dass Du sonst an der falschen Stelle sparst. Einsparprogramme, insbesondere wenn sie Betroffene einschränken oder es um ihr eigenes Gehalt geht, verstärken die Unsicherheit und können die primären „Vermeidungsemotionen“ – Angst, Scham und Wut – oder auch Schockstarre verstärken. Das ist das Letzte, was Du in der Krise willst. Auch deshalb bitte nicht vortäuschen, dass Du eine Lösung hast. Sonst musst Du Taten folgen lassen, und diese sind dann nämlich meistens genau diese Art von Aktionismus wie Umorganisation, Einsparprogramme & Co. Wie Marty Linsky und Robert Heifetz schon 2009 im Harvard Business Review beschrieben, lassen sich Krisen viel besser durch die Beteiligung der Mitarbeiter meistern als durch ihre Bevormundung. Leider zeigt sich in einer Studie von Nordantech aus 2023 (Grafik dazu s. Abb. 1), dass auch heute noch hauptsächlich mit Schnellschüssen und weniger mit kreativen und innovativen Antworten auf Krisen reagiert wird.

3.Jetzt, da dies gesagt ist, noch ein anderer Blickwinkel auf die Emotionen: Das Problem mit den „Vermeidungsemotionen“ ist, dass sie uns weg-von einer Situation lenken. Das emotionale Gehirn hat eine schnelle und starke Wirkung auf unsere Handlungsimpulse. Nun ist das Abwenden von Krisen keine gute Art, sie zu meistern. Daher müssen wir bei aller Akzeptanz und Empathie für unsere Unsicherheit möglichst umgehend in die entgegengesetzte Richtung: zu den „Bindungsemotionen“ (Freude, Vertrauen). Das ist die eigentliche Kunst.Hilfreich ist schon, wenn Du Deine Vermeidungsemotionen akzeptierst – so paradox es auch klingen mag. Aber denk mal nach: Was passiert denn, wenn Du Scham oder Wut oder Unsicherheit bei Dir siehst und dann denkst, Du solltest sie nicht haben? Dann kannst Du diese Emotionen unterdrücken. Kurz gesagt weiß man aus der psychologischen Forschung, dass das Unterdrücken von Emotionen die Leistungsfähigkeit vehement einschränkt – und die Emotionen doch nicht nachhaltig verschwinden. Heißt: Zusätzlich zu den unerwünschten Emotionen bringst Du Deine Leistungsfähigkeit noch weiter in den Keller. Keine gute Lösung. Jede Art von Kampf mit den eigenen Emotionen bringt hier sehr wenig.Dann bleibt noch die Möglichkeit, zu sagen: „nun, wenn ich gerade unsicher bin, dann ist das halt so“. Nicht als Resignation, sondern als Akzeptanz. Das Faszinierende ist aber: diese zuwendende Haltung, mit der Du „Ja“ sagst, bedeutet: Du wendest Dich damit dem, was ist, zu. Ich weiß, es klingt seltsam: In der Akzeptanz dessen, was ist – auch, wenn es unangenehm und unerwünscht ist – liegt der Schlüssel für einen zugewandten, lösungsorientierten Umgang mit Herausforderungen. Das weiß man auch aus der Mindfulness-Forschung. Indem Du etwa Deine negativen Gedanken und Zukunftshochrechnungen in einer Krise achtsam-zugewandt (ohne Bewertung oder Analyse) zur Kenntnis nimmst, verringerst Du die emotionale Wirkung dieser Gedanken auf Dich selbst: Du siehst, dass es Gedanken sind, die Du hast, und keine Abbildung der Realität, und gibst den Gedanken dadurch weniger Power, auf die Emotionen und damit auf Deine Handlungstrigger zu wirken. Deshalb ist die systematische Anwendung von Mindfulness einer der wichtigsten Hebel im Umgang mit Krisen. In Ergänzung dazu kannst Du gedankliche Perspektivwechsel vollziehen: was sind die Fakten? Was läuft derzeit noch gut? Welche Chancen könnte die Krise dem Unternehmen bieten? Was brauchen Deine Kunden gerade? Wie könnte das Unternehmen schnell eine Lösung dafür anbieten? Was könntet Ihr tun, um Euch davor zu schützen, was schlimmstenfalls in der Krise eintreten könnte? Aktives Risikomanagement ist immer besser als passives Grübeln oder diskutieren!

4.Und so verlagerst Du den Fokus von Vermeidungs- zu „Zuwendungsemotionen“: denn jetzt ist es an der Zeit, aktiv in die „Zuwendung“ zu gehen. Um Krisen wirklich meistern zu können, müssen wir uns mit ihnen auseinandersetzen, uns ihnen zuwenden, anstatt uns abzuwenden. Das geht aber nur, wenn wir emotional dazu in der Lage sind, uns also nicht mehr in „Vermeidungsemotionen“ verstricken. Damit ist nicht gemeint, dass wir im Freudentaumel Krisen ignorieren sollen. Im Gegenteil: Zuwendung bedeutet bewusste Auseinandersetzung. Wer sich aber zuwendet, der ist auch offen für die Chancen, für die positive Zukunft. Wer dagegen in Scham, Wut, Widerstand und Angst gefangen ist, dessen Gehirn kann gar nichts Anderes sehen als eine düstere Zukunft. Und hier unterscheidet sich derjenige, der achtsam-gelassen und zugewandt unterwegs ist von allen Anderen: plötzlich entsteht eine Perspektive, in der Du auch die Chancen sehen kannst, die eine Krise bietet. Für mich war es im Lockdown die Chance zur Weiterentwicklung zum Online-Coach und Trainer. Dafür hätte ich vorher gar keine Zeit gehabt. Vielleicht war das sehr offensichtlich und in Deiner Branche stellt sich die Chance nicht so deutlich dar. Aber ich kenne viele meiner Kollegen, die zu der Zeit aus Angst kein Geld für Ausstattung und Training in dem Bereich ausgeben wollten, oder die wie gelähmt untätig grübelten oder hofften, die Pandemie aussitzen zu können. Sie konnten die Chance nicht nutzen.

5.Erwarte aber auch jetzt noch keine perfekten Lösungen und begnüge Dich mit dem Experimentieren. Wahrscheinlich wird Euch nicht auf Anhieb die beste Lösung einfallen. Erlaubt Euch das Sammeln vieler Ideen und Alternativen. Probiert Dinge aus, die nicht zu viele Ressourcen brauchen. Testet Dinge mit wichtigen Kunden, bevor Ihr erwartet, einen großflächigen Launch zu schaffen. Wertet die Ergebnisse aus und besprecht nächste Schritte. Vielleicht habt Ihr dafür eine Taskforce. Bindet aber nach Möglichkeit aus allen Bereichen des Unternehmens Leute ein, die mitdenken und mitwirken.

6.Und dann kommuniziere mehr als sonst. Halte die Mitarbeitenden regelmäßig auf Stand. Feiere mit Deiner Mannschaft die kleinen Erfolge und mache sie im ganzen Unternehmen bekannt. Benenne die Abteilungen, die gute Ideen hatten, die zum Erfolg geführt haben und erwähne auch diejenigen lobend, die ein Risiko eingegangen sind und nicht genug Früchte dafür ernten konnten. Sieh alle „Fehler“ als Lernchancen und halte diese mit Deiner Mannschaft für spätere Krisen fest.

Diese Haltung erfordert seitens einer Führungskraft viel Empathie und Selbstmanagement: anstatt künstliche „Stärke“ demonstrieren zu wollen und die Kontrolle über die Situation in Anspruch zu nehmen, lässt Du Dich darauf ein, zuzugeben, dass Du keine Antworten parat hast und „erkundest“ die Krise gemeinsam mit Deinen Leuten auf Augenhöhe. Abgesehen davon, dass Du so wahrscheinlich besser aus der Krise hervorgehst, wirst Du auf diese Art eine Kultur geprägt haben, die Dir mittelfristig Vertrauen und Engagement zusichert.

Es lohnt sich in jedem Fall!